Burnout – wie gehe ich damit um? Teil 6
Dies ist der sechste Artikel aus einer ganzen Reihe zum Thema Burnout. Am Ende des Beitrags findest Du Links zu allen Artikeln der Reihe in chronologischer Reihenfolge. Wenn Du alle lesen willst, empfehle ich Dir, nach der Reihe durchzugehen, um inhaltlich und thematisch an den vorhergegangenen anknüpfen zu können.
Wenn es Dir nicht gut tut, solche Inhalte zu konsumieren, rate ich Dir, die Themenartikel nicht oder nicht allein zu lesen, da sie sehr persönlich und emotional geschrieben sind.
Am Ende der Beiträge findest Du Hilfestellen, an die Du Dich wenden kannst, wenn es Dir nicht gut geht.
Wie ich damit umgehe, dass ich einen Burnout hatte
Nunja, ich erzähle meine Geschichte in aller Öffentlichkeit im Internet. Das sagt wohl schon ziemlich viel darüber aus, wie ich damit umgehe – zumindest heute.
Als ich krank war, gehörte ich noch zu einer anderen Kategorie. Ich sprach nur mit den engsten Freunden darüber. Ich ging Leuten teilweise aus dem Weg, um nicht erklären zu müssen, warum ich seit Monaten nicht mehr arbeite oder was ich inzwischen mache.
Warum?
Das kann ich ehrlich gesagt selbst nicht einmal so richtig beantworten. Ich war nämlich schon immer der Meinung, dass psychische und physische Gesundheit gleichwertige Themen in der Gesellschaft sein müssten und dass ich kein Tabu daraus machen will.
Ist mensch aber erst einmal betroffen, verändert sich die Wahrnehmung. Du spürst viel feinfühliger, dass die Menschen nicht bereit dafür sind, über Dinge wie negative Gefühle, Antriebslosigkeit, Leistungsverlust, Demotivation, Depression und Suizidgedanken zu sprechen.
Nicht, weil sie nicht offen dafür wären (wobei auch das auf manche zutrifft). Sondern mehr, weil sie nicht wissen, wie sie reagieren sollen. Wir sind häufig der Meinung, dass wir zuhören um zu antworten. Um Hilfestellung zu bieten, Ratschläge zu geben, sowas. Was ja auch grundsätzlich gar nicht verkehrt und ein guter Ansatz ist.
Aber was ist, wenn wir einfach mal zuhören um zu-zu-hören. Um zu lauschen, was unser Gegenüber zu sagen hat. Den Inhalt wirklich erfassen. Uns die Zeit nehmen, zu begreifen, was der*die andere gerade erzählt und vielleicht zu spüren, dass das gerade aus dem tiefsten Innern dieses Menschen kommt.
Was ich Betroffenen sagen will
Ja, Depressionen zu haben ist scheiße. Das muss nicht beschönigt werden. Und es ist schwer. Das Durchhalten. Jeder Tag. Der Wunsch, dass es vorbei geht. Die Angst, dass es das nicht tut. Die Wut, betroffen zu sein und das nicht fair zu finden. Das Leiden. Das Gefühl, allein zu sein und nicht verstanden zu werden. Du hast es nicht verdient, Dich da durchkämpfen zu müssen. Und ich verstehe, dass Du manchmal denkst, keine Kraft mehr zu haben, länger durchzuhalten.
Aber ich sage Dir auch:
Alles, was Du fühlst, ist okay. Lass es raus. Vertraue Dich Menschen an. Hab keine Angst. Sei offen, Hilfe anzunehmen. Und wenn es sein muss, scheiß auf manche Menschen. Wenn es Dir hilft. In Deiner Situation bist Du nicht darauf angewiesen, es anderen recht zu machen. Du bist krank. Und wer das nicht versteht, hat das Problem und die ganze Thematik nicht verstanden. Und wird Dir in der Situation auch keine große Hilfe sein.
Was ich nicht-Betroffenen sagen will
Niemand erwartet von Dir, dass Du die Heilung für diese Person bist. Niemand erwartet, dass Du die Musterlösung parat hast. Niemand hofft, dass Du mit einem Fingerschnips die Probleme des anderen verschwinden lässt. Denn die Betroffenen wissen selbst, dass das nicht möglich ist. Zumindest nicht im Moment. Vor allem aber, dass Du das nicht leisten kannst. Und auch nicht musst.
Die größte Erwartung, die ein betroffener Mensch hat, ist, dass Du da bist. Zumindest kann ich da von mir sprechen und aus meinen Erfahrungen mit anderen im Umfeld, ob privat, in der Klinik oder in der Therapie, kann ich sagen, dass es anderen auch so geht.
Biete Dich an. Komm vorbei. Sei da. Zeige deinen Mitmenschen, dass sie nicht alleine sind. Dass Der*Diejenige da nicht alleine durch muss. Dass Unterstützung da ist.
Ob zum Kaffee trinken, zum Film schauen, um für die Person zu kochen (oder was gekochtes mitzubringen), um gemeinsam spazieren zu gehen, oder ins Kino, um zu lachen, oder zu weinen.
Betroffenen fällt es häufig sehr schwer, um Hilfe zu bitten oder überhaupt, sich zu melden. Ein „gib Bescheid, wenn Du etwas brauchst“ fand ich zu der Zeit nie besonders hilfreich.
Denn als kranker Mensch weißt Du, dass es für die anderen vermutlich nicht leicht ist, Dich in dieser Phase zu begleiten und für Dich da zu sein. Also meldest Du Dich nicht von Dir aus, um niemandem zur Last zu fallen. Wenn sich aber auch niemand bei Dir meldet, fühlst Du Dich nur noch einsamer, was die Stimmung noch mehr drücken kann. Es ist ein Teufelskreis.
Und oft fehlt auch einfach die Kraft dafür.
Wie ich mit dem Thema generell umgehe
Mein Motto ist: Schluss mit dem Tabu! Mehr Offenheit, mehr Empathie und mehr Selbstverständlichkeit für alle Themen des Lebens. Vor allem aber hier. Ich mag mich wiederholen, aber Depressionen und psychische Erkrankungen zur Normalität zu machen, kann Leben retten!
Und indem ich über meine Erfahrungen spreche, öffne ich den Raum um das Thema in den Mittelpunkt zu stellen. Gebe Gelegenheit, sich auszutauschen, darüber nachzudenken, etwas darüber zu erfahren. Indem ich meine Geschichte teile, zeige ich Menschen, dass sie nicht alleine sind. Bin ich eine von tausenden Betroffenen. Aber eine, die sich zeigt. Die es nicht verstecken will. Um für Toleranz, Rücksicht, Empathie und Präsenz zu kämpfen.
Was ich denke, wie die Gesellschaft damit umgehen sollte
Toleranter. Offener. Vorurteilsfreier.
Depressionen und andere psychische Erkrankungen können jede*n treffen und sollten nicht schambehaftet oder tabuisiert sein! Indem wir in unserer Gesellschaft weiterhin den Eindruck aufrecht erhalten, dass psychische Krankheiten etwas sind, über das nicht gesprochen werden darf und das keiner wissen darf, wird sich auch nichts daran ändern.
Ich würde gerne in einer Welt leben, in der jeder sagen kann „ich kann heute Nachmittag nicht, ich habe einen Termin beim Therapeuten“, genauso, als würde mensch von der Kontrolle beim Zahnarzt sprechen.
Sich um seine psychische Gesundheit zu kümmern ist in keinster Weise schwach, sondern im Gegenteil. Sich mit sich selbst, den eigenen Problemen, Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Gedanken, Gefühlen und Glaubenssätzen auseinander zu setzen erfordert sehr viel Kraft und Mut. Und ich spreche an dieser Stelle allen meinen größten Respekt aus, die sich dafür entscheiden!
Wofür (und wogegen) ich mich noch aussprechen möchte
Häufig sind Betroffene die Sprecher von Vereinen, Initiativen und Gesellschaften, für die sie stehen. Ich halte es aber für genauso wichtig, dass nicht-Betroffene sich dafür und über die Themen aussprechen. So wie Rassismus für weiße Menschen ein Thema ist und Gleichbehandlung auch für Menschen außerhalb der LGBTQIA+ Community von Bedeutung ist, so sollte auch psychische Gesundheit nicht nur von Erkrankten thematisiert werden, sondern auch von Angehörigen, Außenstehenden, Unbeteiligten und Gesunden thematisiert und normalisiert werden.
Außerdem möchte ich Dich und alle, die sich mit dem Thema beschäftigen, dazu sensibilisieren, sich um die eigene Selbstfürsorge zu kümmern. Viel zu selten nehmen wir uns die Zeit, uns mit uns selbst, unseren Wünschen, Fragen, Bedürfnissen und inneren Konflikten auseinander zu setzen. Oft begründen wir es damit, keine Zeit zu haben. Ich denke, dass manche dieser Konfrontation, vielleicht auch unbewusst, aus dem Weg gehen und sich die Zeit nicht nehmen. Es könnte ja eine Stimme in uns laut werden, die wir sonst nicht hören, weil wir sie im Eifer und im beschäftigt sein einfach unterdrücken. Dabei ist Selbstfürsorge so so wichtig für ein gesundes Leben. Das muss nicht das volle Self-Care Programm mit Dankbarkeitstagebuch, Meditation, Skin-Care, Ernährungs- und Sportplan sein. Manchmal reicht es auch, sich pro Tag 30 Minuten für etwas einzuplanen, was Du gerne tust. Lesen, Basteln, Malen, Puzzlen, (bewusst) kochen oder telefonieren. Oder Sport. Etwas, dass Du nur für Dich machst, woran Du Freude hast. Dass Dich runter kommen lässt und Dir den Kopf frei macht.
Und zu guter letzt, und weil so bekannt auch gar nicht so weit ausgeholt: Die Kritik an der Leistungsgesellschaft. Jetzt mal ehrlich. Hast Du schon mal von jemandem gehört, der im hohen Alter sagt „Ich bin froh, dass ich 70 Stunden die Woche geackert habe, mein Leben für meine Karriere geopfert und mir so wenig Zeit für mich und mein Leben (wovon wir schließlich nur dieses eine haben) genommen habe“?
Ich schätze nicht. Also: vielleicht einfach mal Fünfe gerade sein lassen und Dich fragen: Ist das, was ich tue noch in einem gesunden Verhältnis? Tue ich das, was ich liebe? Hat mein Leben und Alltag genug Raum für mich und meine Leidenschaften, Bedürfnisse und Wünsche oder jage ich nur einem Ideal oder einer Vorstellung hinterher, die nicht meine eigene ist?
Sorge gut für Dich.
Wenn Du Hilfe suchst und Dich mit Deinen Problemen an jemanden wenden möchtest, kommst Du hier zu Seite der Deutschen Depressionshilfe mit vielen Anlaufstellen und Telefonnummern.
Sich Hilfe zu suchen und danach zu Fragen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut!
Hier kommst Du zu den anderen Artikeln aus dem Themenbereich:
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