Burnout – wie geht es mir heute? Teil 7
Dies ist der letzte Artikel aus einer ganzen Reihe zum Thema Burnout. Am Ende des Beitrags findest Du Links zu allen Artikeln der Reihe in chronologischer Reihenfolge. Wenn Du alle lesen willst, empfehle ich Dir, nach der Reihe durchzugehen, um inhaltlich und thematisch an den vorhergegangenen anknüpfen zu können.
Wenn es Dir nicht gut tut, solche Inhalte zu konsumieren, rate ich Dir, die Themenartikel nicht oder nicht allein zu lesen, da sie sehr persönlich und emotional geschrieben sind.
Am Ende der Beiträge findest Du Hilfestellen, an die Du Dich wenden kannst, wenn es Dir nicht gut geht.
Wie ich mich fühle
Inzwischen ziemlich gut. Nicht wie früher. Aber das wäre ja auch gar nicht das Ziel. Anders. Auf eine Art und Weise besser als davor. Also auf eine bessere Art anders. Macht das Sinn?
Auf jeden Fall gesünder. Bewusster. Gewappneter. Und sicherer. Ich weiß, was ich durchgemacht und überstanden habe. Und ich weiß jetzt, was ich tun kann, wohin ich mich wenden kann, wenn ich wieder in eine ähnliche Situation komme. Ich weiß, wo und wie ich Hilfe bekomme, das verleiht Sicherheit.
Und auch, wenn ich mir fast gewiss bin, dass das nicht die letzte depressive Episode in meinem Leben gewesen sein wird, so bin ich doch zuversichtlich. Wenn ich die letzten Jahre überstanden habe (nach allem, was das Leben bis dahin schon für mich bereit gehalten hat), kann mich wohl so viel nicht mehr umhauen. Außerdem gibt es eine gewisse Sicherheit. (Wenn Du Dich mit Suizidgedanken nicht wohl fühlst, spring einfach zur nächsten Überschrift. Ich klammere dieses Thema hier bewusst nicht aus, weil es genauso wichtig ist, darüber zu sprechen wie über alles andere, was die Krankheit betrifft.)
Wenn Du einmal den Punkt erreicht hast, an dem Du für Dich beschließt, dass das Leben Dir nichts mehr geben kann, für Dich nicht mehr lebenswert ist (aber es trotzdem noch irgendwie geschafft hast, zu überleben), dann lebt es sich gänzlich unbeschwerter. Ehrlich gesagt ist das nicht nur meine Meinung, sondern auch andere Menschen, die ähnliches erlebt haben, haben mir diese Gedanken bestätigt und mir gesagt, dass es ihnen ähnlich geht.
Soll heißen, wenn Du diesen tiefen, dunklen, schwarzen Punkt erreicht hast, an dem Du keinen Ausweg mehr siehst und Dich da raus gekämpft hast, dann kann es sein, dass sich Deine Einstellung und Haltung zum Leben und/oder den Dingen darin, verändert. So ist es zumindest bei mir. Es mag zynisch klingen, aber mit der Devise „ich war ja schon am tiefsten Punkt, ich kann gar nichts verlieren“ und „wenn das alles doch nichts wird, hab ich ja noch einen Plan B“, lebt es sich überraschend befreiter, leichter und, wie ich finde, auch mutiger.
Was sich in meinem Leben verändert hat
Ich bin ganz bestimmt selbstbewusster in meinen Entscheidungen. Nicht, dass ich ein Profi wäre, aber früher konnte ich keine Entscheidung treffen, ohne sie nicht erst durch eine handvoll Leute bestätigt zu wissen. Heute folge ich meinem Bauchgefühl, meiner Intuition. Durch die Therapie habe ich gelernt, wie wichtig es ist, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören und was passiert, wenn mensch es zu lange nicht macht. Dadurch habe ich eine bessere Verbindung zu mir selbst, meinen Wünschen, Ängsten, Unsicherheiten und eben auch den Dingen, die ich brauche. Darauf zu hören und zu lernen, was ich tun kann, um die Bedürfnisse zu erfüllen, macht mein Leben selbstbestimmter, entspannter und stabiler.
Was sich sehr verändert hat, was aber natürlich auch mit meiner Persönlichkeit als Hintergrund zu tun hat, ist, dass ich ganz anders auf neue Menschen zugehe. Meine Art, Gespräche zu führen (inhaltlich) hat sich sehr verändert. Ich war schon immer der offene Typ. Es fiel mir schon immer leicht, auf Menschen zuzugehen, fremde Menschen anzusprechen, ins Gespräch zu kommen (Props gehen an dieser Stelle raus an meinen großen Bruder, der mir immer gesagt hat, ich solle mich nicht verbiegen lassen, offen auf andere zugehen und immer ich selbst sein! ❤).
Doch meine Einstellung hat sich verändert. Während ich früher sehr auf Anerkennung und gemocht sein bedacht war, ist es mir heute vor allem wichtig, so akzeptiert zu werden, wie ich bin. Mit meinen Marotten, meinen Vorzügen, aber vor allem mit meiner Geschichte. Was auch der Grund dafür ist, weswegen ich kein Geheimnis daraus mache, was mir passiert ist und dass ich lange krank war. Früher oder später kommt es ohnehin zur Sprache, wenn Menschen fragen, warum ich nicht mehr im pädagogischen Bereich arbeite, warum ich mein Studium beendet habe oder oder.
Und ich habe im letzten Jahr die Erfahrung gemacht, dass, wenn Du den Menschen offen, ehrlich, persönlich und nahbar begegnest, Du genau das zurück bekommst und sich Erfahrungen, Situationen und Gespräche öffnen, die Du so und so schnell nie für möglich gehalten hättest. Für mich begründen sich auf dieser Ebene sehr tiefe, direkte und emotionale Begegnungen, die ich nicht missen möchte. Außerdem weiß ich relativ schnell, woran ich bin. Menschen, die mit meiner Art über Themen zu sprechen nicht zurecht kommen, sind da relativ schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Wobei ich, wenn ich recht überlege, keine solcher Momente hatte. Mag auch daran liegen, dass mensch anzieht, was er ausstrahlt.
Natürlich hat sich nicht alles nur zum Guten verändert. Ehrlich gesagt hat die Krankheit auch Opfer gekostet. Denn nicht jede zwischenmenschliche Beziehung verkraftet es, wenn ein Teil über längere Zeit „out of order“ ist. Sozialkompetenz ist in Zeiten einer schweren Depression nur schwer aufzubringen, bzw. der Geist einfach nicht mehr dazu fähig. Dass es dann zu Missverständnissen, Fehlkommunikation und vielleicht auch Kränkungen kommt, ist leider nicht zu vermeiden. Und so habe auch ich sehr schweren Herzens langjährige Freundschaften in dieser Zeit verloren. Die mögen sich vielleicht ohnehin verlaufen haben und auch andere Einflüsse haben ihren Part dazu beigetragen. Dennoch hat für mich rückblickend, auf mein Vergangenheits-Ich gesehen, die Krankheit den Großteil davon zu verantworten. Denn ich weiß, wie ich vorher war, ich weiß, wie ich während dessen war und ich weiß, wie und wer ich heute bin.
Was ich anders mache
Neben der Tatsache, dass ich meine Einstellung und mein Denken zum Leben, zu mir und meinen Mitmenschen verändert habe, habe ich natürlich auch mein Verhalten verändert.
Denn: Wenn Du nur darauf wartest, dass eine Veränderung geschieht, während Du alles so machst, wie davor, wird gar nichts passieren.
Oder wie Albert Einstein sagte:
„Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.“
Außerdem gestalte ich meinen Alltag anders. Ich lerne (nach wie vor) Stresssituationen zu erkennen, sie zu verhindern, ihnen vorzubeugen und wenn es doch mal nicht klappt, ihnen angemessen entgegen zu treten.
Wichtig sind dabei vor allem ausreichende Pausen, genügend Auszeiten und ein passender Ausgleich. Ob bei der Arbeit, beim Haushalt oder auch wenn der Kopf mal wieder zu voll wird.
Und die Akzeptanz, dass nicht alle Menschen gleich leistungsfähig sind und die große Aufgabe, sich nicht stetig mit anderen zu vergleichen. Denn das kann einem ganz schnell das Genick brechen.
Wenn wir aber erkennen, dass wir alle unterschiedliche (Belastungs-)Grenzen haben und ein unterschiedlich großes Bedürfnis nach Ruhe, Gesellschaft, Bewegung, Entspannung, was auch immer und unseren Frieden damit machen, dass das so ist, dann können wir wirklich produktiv sein und viel mehr leisten, als wenn wir uns nur an der Leistungsgesellschaft, an willkürlich festgelegten Normen und Erwartungen festklammern.
Ich hatte im vergangenen Jahr schon öfter wieder das Gefühl, im Hamsterrad vorn über zu kippen, weil ich viel zu schnell laufe. Und egal, wie sehr ich mich bemüht habe, ich hab mich am Ende nur noch kaputter gefühlt (siehe hierzu mal wieder passend der Auszug aus Momo, den ich bereits im Artikel über die Geschichte des Radieschens erwähnt hatte).
Anfang diesen Jahres hab ich dann entschieden, diesen Kreis zu durchbrechen. Ganz bewusst habe ich mich entschieden, nach dem Aufstehen erst einmal 30 Minuten zu lesen. Weil das Lesen mir wichtig ist und ich viel zu wenig dazu komme. So stelle ich sicher, dass ich meine Ruhezeit am Tag hatte, ganz egal, wie stressig und anstrengend der Tag werden mag und dass ich auch Zeit zum Lesen hatte. Das gelingt mir nicht immer, aber ich gebe mir Mühe.
Außerdem habe ich feste Wochenrituale für Ausgleich in Form von Bewegung eingeplant. Schon seit 6 Jahren bin ich Montag morgens im Aerobic Kurs. Doch das war mir nicht genug. Gruppensport macht Spaß, doch schon vor ein paar Jahren habe ich das Schwimmen für mich entdeckt. Und so gehe ich jetzt jeden Mittwochmorgen meine 40 Bahnen im Schwimmbad ziehen. Und mindestens einmal die Woche mache ich einen Spaziergang durch die Hopfen- und Apfelplantagen hinter der Siedlung durch den Ort, am Fluss entlang und wieder zurück.
Und auch wenn das bedeutet, dass mir diese Zeit für die selbständige Arbeit „fehlt“, bzw. ich vielleicht im Alltag die eine oder andere Sache weniger erledigt bekomme, so habe ich doch recht schnell bemerkt, wie viel effektiver doch die übrige Arbeitszeit dadurch geworden ist. Obwohl ich dachte, mir Zeit zu „nehmen“, was in diesem Zusammenhang doppelt bewertbar ist. Da ich sie zwar an der einen Stelle wegnehme, mir diese Zeit aber ganz bewusst, aktiv und gezielt für mich nehme um mir, meinem Körper und meinem Geist etwas Gutes zu tun. In Form von Bewegung, Bildung, Ruhe, nenne es, wie Du möchtest.
Was ich noch sagen möchte
Niemand ist davor bewahrt, psychisch zu erkranken.
Sei dankbar für jeden Tag, an dem es Dir gut geht, Du gesund bist und nicht jeden Tag darum kämpfen musst, ihn zu überstehen. Physisch wie psychisch.
Schätze dieses Geschenk.
Danke für‘s Lesen.
Wenn Du Hilfe suchst und Dich mit Deinen Problemen an jemanden wenden möchtest, kommst Du hier zu Seite der Deutschen Depressionshilfe mit vielen Anlaufstellen und Telefonnummern.
Sich Hilfe zu suchen und danach zu Fragen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut!
Hier kommst Du zu den anderen Artikeln aus dem Themenbereich:
Burnout – und dann? Teil 1
Burnout – Was ist das eigentlich? Teil 2
Burnout – Meine Geschichte Teil 3
Burnout – Wie fühlt sich das an? Teil 4
Burnout – Was mache ich dann? Teil 5
Burnout – Wie gehe ich damit um? Teil 6
Eine tolle Serie an Beiträgen und wirklich mit Herz geschrieben und recherchiert! Ganz toll Amelie! 🙂
Liebe Sandra,
vielen Dank für die liebe Rückmeldung. Es freut mich sehr, wenn Dir die Reihe gefällt. <3
Vielen lieben Dank Amelie für Deine offenen Worte ♥️
Sehr gerne, liebe Kiki.
Ich halte es für so ein wichtiges Thema, da sollte viel mehr darüber gesprochen werden.
Also fange ich, wie bei Vielem, am besten bei und mit mir selbst an.